„Endlich wieder meine Malteser…!“
Wie die Malteser pflegende Eltern schwerkranker Kinder entlasten
Interview mit Heike Nußbaum, Leiterin der Malteser Kinderkrankenpflege Ambulant Intensiv
Der achtjährige Joah mit Down-Syndrom freut sich riesig, wenn eine der Pflegefachkräfte von der bundesweit einzigartigen Malteser Kinderkrankenpflege Ambulant Intensiv zu ihm und seiner Familie kommt. Einmal im Monat übernimmt den Dienst in Stuttgart Heike Nußbaum selbst. Es ist der 51 jährigen wichtig, den Kontakt zu dem Jungen weiterhin aufrecht zu erhalten, auch wenn sie zwischenzeitlich als Leiterin der Kinderintensivpflege genügend andere Aufgaben hat. Wir treffen die vitale, energiegeladene Frau in ihrem Büro in Schwäbisch Gmünd:
MM: Welche Hilfen bieten die Malteser mit der Kinderkrankenpflege Ambulant Intensiv an?
Heike Nußbaum: Unser Spektrum reicht von der Versorgung von Frühgeborenen mit ihren multiplen Folgeerkrankungen und Kindern, die beatmet werden müssen, über Epilepsiekinder und herzerkrankte Kinder bis hin zu Kindern und Jugendlichen mit neuromuskulären und chronischen Erkrankungen sowie Erkrankungen mit vitaler Lebensbedrohung. Unser Einzugsgebiet erstreckt sich über 200 Kilometer von Ludwigsburg bis Augsburg mit drei Pflegeteamleitungen in Ludwigsburg, Esslingen und Schwäbisch Gmünd. Derzeit betreuen 95 Pflegefachkräfte 60 schwerkranke Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 18 Jahren und ihre Familien zu Hause oder in der Schule bzw. im Kindergarten und stehen den Eltern im Alltag helfend zur Seite. Neben der ambulanten Versorgung bieten wir Eltern mit schwer erkrankten Kindern auch Beratungsbesuche an, um sie über mögliche Ansprüche und Leistungen zu informieren.
Welche Qualifikation bringen diese Pflegefachkräfte mit?
Bei unseren Pflegefachkräften handelt es sich in der Regel um Kinderkrankenschwestern oder Krankenschwestern und Krankenpfleger, häufig mit Zusatzqualifikationen. Sie sind für die anspruchsvollen Aufgaben im gesamten Spektrum der Kinderintensivpflege bestens qualifiziert und bringen viel Erfahrung mit. Sie übernehmen alle Aufgaben der medizinischen Intensiv- und Behandlungspflege. Auch ich habe 20 Jahre als Kinderkrankenschwester im Krankenhaus gearbeitet, bevor ich vor neun Jahren zu den Maltesern kam. Zuerst als eine der drei Teamleitungen und später als Pflegedienstleitung . In diesem Jahr wurde mir die Leitung der Kinderintensivpflege angeboten, die ich sehr gerne übernommen habe.
Wie werden die Pflegekräfte eingesetzt?
Die Pflegezeiten richten sich ganz nach dem Bedarf der Familien, d. h. manche Pflegekräfte sind im Tag- und Nachtdienst acht bis zehn Stunden in einer Familie. Wir übernehmen auch die Pflege und Versorgung im Kindergarten, in der Schule, wir fahren mit zu Arztbesuchen, ins Krankenhaus und sogar in den Urlaub – ganz nach dem Bedarf der Eltern bzw. des Kindes.
In der Regel betreut eine Vollzeitkraft drei bis vier Kinder. Wir haben aber auch Kinder, die eine Versorgung von monatlich bis zu 600 Stunden benötigen. In einem solchen Fall kann ein Team auch mal aus mehr als zehn Pflegefachkräften bestehen, die sich die Versorgung aufteilen. Grundsätzlich schauen wir immer: Wer wohnt in der Nähe der Familie? Wer passt zum Kind und zur Versorgung? Wie ist die zeitliche Verfügbarkeit der Pflegefachkraft? Dabei ist übrigens ein Einsatz in unserem Dienst perfekt für Teilzeitkräfte geeignet.
Was zeichnet den Kinderintensivpflegedienst der Malteser aus?
Wir Malteser übernehmen nicht nur Groß-, sondern auch kleinere Versorgungen wie beispielsweise Kinder mit Magensonde. Ebenso unterstützen wir Familien mit Kindern die Erkrankungen haben, die nur wenige Stunden Behandlungspflege pro Woche benötigen. Auf diese Weise ersparen wir den Eltern und ihrem Kind oft den Weg zum Kinderarzt oder ins Krankenhaus. Die Eltern werden somit entlastet und können auf unsere Erfahrungen zurückgreifen.
Was gefällt Ihnen besonders an Ihrem Dienst?
Es gefällt mir besonders, dass ich auch heute noch jeden Tag Neues dazu lernen darf, obwohl ich jetzt schon seit 30 Jahren in diesem Bereich arbeite. Ich treffe auf viele dankbare, aber auch auf viele verunsicherte Menschen. In den verschiedenen Arbeitsprozessen und Gesprächen habe ich gelernt, auch in herausfordernden Situationen ruhig zuzuhören und mich in die Lage der Eltern und Mitarbeitenden zu versetzen. Oft benötigen wir da sehr viel Geduld und Empathie. In erster Linie geht es für uns um die bestmögliche Versorgung der Kinder.
Eine weitere Besonderheit sind unsere Mitarbeitenden! Das sind ganz besondere Menschen: sie sind immer füreinander und unsere kleinen Patienten da und verfügen über eine hohe Sozialkompetenz. Auch wenn sie alle tagtäglich mit schwierigen Familiensituationen konfrontiert werden, so bleiben sie dennoch ihrem Team und ihrem Dienst treu. Wir haben eine ganz geringe Personalfluktuation. Ich erlebe uns trotz unserer Größe wie ein kleines Familienunternehmen. Man spricht in letzter Zeit oft über „Purpose“ den man in einer Tätigkeit finden soll. Ich kann für mich und mein Team behaupten, dass dieser Begriff bei uns nicht neu ist, sondern uns schon immer tagtäglich in unserer Arbeit begegnet.
Was sind die Schwierigkeiten, die Sie besonders herausfordern?
Es gibt einen hohen Unterstützungsbedarf für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche, den wir aufgrund des Fachkräftemangels nicht decken können. Gerade in ländlichen Regionen können wir Familien nicht immer so versorgen, wie sie es wünschen und wir es gerne tun würden. Hier ein Beispiel einer Familie, die außerhalb unseres normalen Einsatzgebietes wohnt. Die Eltern müssen sich jeden Monat mindestens zehn Nächte allein um ihr beatmetes Kind kümmern, weil wir über nicht genügend Mitarbeitende in der Nähe verfügen. Ein großes Problem sind die Kinder, die eine regelmäßige Versorgung benötigen, die aber nicht krank genug sind für eine Intensivpflege. Aufgrund des Krankheitsbilds können sie aber leider auch nicht von z.B. Großeltern versorgt werden. In solchen Fällen ist die Kostenübernahme ein Problem, da die Krankenkassen in der Regel keine Kosten übernehmen. Leider wird die Kinderintensivpflege bei Gesetzes- und Verfahrensänderungen sehr oft vergessen, so dass wir oft hohe bürokratische Hürden meistern müssen.
Wie helfen Sie den Familien, wenn sich der Gesundheitszustand ihres Kinders verschlechtert?
Da wir meistens über einen langen Zeitraum hinweg bei den Familien im Einsatz sind, gehen wir mit ihnen regelmäßig durch solche „Täler“ der Verschlechterung. Dies ist oft die erste Phase des Abschiednehmens und die traurige Erkenntnis, wohin der Weg unweigerlich führen wird. Ein plötzlicher Tod ist für alle eine immens hohe Belastung und immer wieder furchtbar. Wir begleiten die Familien dabei bis zum Schluss. Oft bricht der Kontakt auch später nicht ab. Viele Mitarbeitende kümmern sich danach ehrenamtlich weiter um die Familie, insbesondere um die Geschwisterkinder. Auch im Team und mit der Familie bieten wir weitere Treffen an. Wir tauschen Erinnerungen aus und geben Hilfestellungen, um den Abschied zu verarbeiten. Bei Bedarf unterstützt uns eine Supervisorin. Gleichzeitig bemühen wir uns um einen „langsamen Entzug“ und schalten, wenn die Familie das wünscht, möglichst frühzeitig unseren Kinderhospizdienst ein, der sich um die Trauerbegleitung kümmert. Somit können wir gewährleisten, dass der Kontakt nicht abreißt und wir mit den Familien verbunden bleiben, auch wenn wir nach dem Tod plötzlich nicht mehr regelmäßig in die Familie gehen.
Und wer hilft Ihnen? Woher nehmen Sie Ihre Kraft, Ihre Energie, Ihre Motivation?
Der liebe Gott hat mir dankenswerterweise ein sonniges Gemüt gegeben, das mich vieles tragen und ertragen lässt. Viel Kraft schenkt mir tagtäglich mein einzigartiges Team. Mein Leitungsteam mit Christa Jeschke-Kolbow und Renate Merz und unser tolles Büroteam im Hintergrund. Weiterhin gibt uns die Dankbarkeit der Familien viel Kraft und Ausdauer. Daneben fühlen wir uns in der Gemeinschaft und der tollen Arbeitsatmosphäre der Malteser Nord- und Ostwürttemberg richtig wohl.
Eine weitere Kraftquelle ist unser Geschäftsführer Heiko Born, der uns absolut vertraut und viel Freiraum lässt. Gleichzeitig ist er immer für uns als Ansprechpartner da, wenn wir ihn brauchen. Ganz besonders dankbar bin ich meinem Mann, unseren zwei Jungs und unserem Freundeskreis. Richtiges Privatleben gibt es bei uns nur im Urlaub, sonst ist das Diensthandy immer dabei. Ohne das Verständnis, die Unterstützung und die Toleranz meiner Familie und unserer Freunde wäre vieles nicht möglich. Diese Erfahrung und dieses Wissen motivieren mich täglich aufs Neue, für unser Team und die Familien, die uns brauchen, da zu sein.
Vielen Dank für das interessante Gespräch und Ihre Zeit! Alles Gute und Gottes Segen für Sie, Ihr Team und Ihre so wichtige Arbeit!
(Interview: Petra Ipp-Zavazal, Oktober 2023)
Weitere Informationen: Heike Nußbaum, Tel: 07171 926 55 – 41 oder -44, E-Mail: heike.nussbaum@malteser.org oder kinderkrankenpflege@malteser.org , www.malteser-kinderdienste.de
Foto/BU: Bei der Kinderkrankenpflege der Malteser werden schwer kranke Kinder und Jugendliche und ihre Familien zu Hause oder in der Schule bzw. im Kindergarten betreut, gepflegt und begleitet. Foto: Christian Vierfuss/Malteser