Erfolgsmodell Schutzunterkunft

Menschliche Nähe trotz Isolation

Bereits seit Frühjahr 2020 kümmern sich die Malteser im Auftrag von Stadt und Regierungspräsidium Stuttgart in Schutzunterkünften in Stuttgart und Althütte (Rems-Murr-Kreis) um Menschen, die aufgrund einer Covid-19-Infektion oder als Kontaktpersonen ersten Grades dort vorübergehend untergebracht sind. Die Initiierung und der Betrieb von zeitweise drei Schutzunterkünften ist für die Landeshauptstadt ein wesentlicher Gelingensfaktor bei der wirksamen Pandemiebekämpfung. Hierfür wurden von Politik und Verwaltung finanzielle Mittel in erheblichem Umfang bereitgestellt. Schutzunterkünfte sind zu einem Erfolgsmodell geworden.
Jenny Kurz, Teamleitung Ambulante Pflege der Malteser Schwäbisch Gmünd, leitet seit April 2020 die Unterkunft im ehemaligen Ferienheim in Althütte-Sechselberg. Jessica Koch, Dienststellenleiterin der Malteser Ludwigsburg, betreut zwei Unterkünfte in Stuttgart.

Was sind unsere Aufgaben in den Schutzunterkünften?

Jenny Kurz: In Althütte haben wir Malteser die Aufgabe, die Bewohner medizinisch zu betreuen, während sie sich in Quarantäne befinden, die Aufnahmen und Entlassungen zu organisieren, das Essen zu verteilen und für saubere Wäsche zu sorgen. Wir koordinieren zudem alle wesentlichen Abläufe in der Unterkunft und sind Ansprechpartner für den Arzt und das Regierungspräsidium. Hierfür sind wir in drei Schichten – Früh-, Spät- und Nachtschicht - mit jeweils drei Maltesern zusätzlich zur Leitung im Einsatz.

Jessica Koch: In einer Stuttgarter Schutzunterkunft bieten wir seit Mitte Januar auch eine sozialpädagogische Betreuung neben Essensversorgung, medizinischer Betreuung und Bewohnerverwaltung an. Insgesamt sind wir mit rund 40 ehren- und hauptamtlichen Maltesern - Rettungs- und Einsatzsanitäter sowie medizinische Hilfskräfte - aus Korntal, Ludwigsburg, Stuttgart und dem Rems-Murr-Kreis vor Ort. Hinzu kommen die Sozialarbeiterin sowie jeweils eine organisatorische Leitung.

Wie viele Personen können hier untergebracht werden? Woher kommen sie?

Jessica Koch: In der Schutzunterkunft, die zum Jahresende geschlossen wurde, hatten wir 72 Zimmer für bis zu 125 Personen. In der Stuttgarter Unterkunft, die wir seit Oktober letzten Jahres betreuen, gibt es 124 Zimmer mit rund 500 Betten. Die Gäste, die zu uns kommen, wurden positiv auf Covid-19 getestet oder sind Kontaktperson ersten Grades und gelten als „gering bis mäßig“ erkrankt, d. h. sie können sich selbständig versorgen, sind vital stabil und haben keinen Sauerstoffbedarf. Das Angebot richtet sich an alle Stuttgarter, die sich aufgrund baulicher oder personenbezogener Besonderheiten nicht in häusliche Quarantäne begeben können. Es gilt zudem für Geflüchtete aus Gemeinschaftsunterkünften sowie für weitere Personen aus anderen beengten Wohnverhältnissen, in welchen eine Absonderung schwer möglich ist.

Jenny Kurz: In dem ehemaligen Freizeitzentrum in Althütte finden maximal 60 Geflüchtete – Einzelpersonen und Familien – Platz. Sie kommen zum größten Teil aus den Landeserstaufnahmeeinrichtungen in Karlsruhe, Schwetzingen, Sigmaringen und Ellwangen.

Wie sieht der Tag in einer Schutzunterkunft aus?

Jenny Kurz: Um 7 Uhr morgens beginnen wir damit, die Vitalwerte bei allen Bewohnern zu messen, und dokumentieren diese. Natürlich erkundigen wir uns hierbei auch immer nach dem grundsätzlichen Befinden unserer Gäste. Nach dem Verteilen des Frühstücks steht meistens das Waschen der Wäsche an. An den Vormittagen erfolgen in der Regel auch die Entlassungen von Bewohnern. Dann müssen die Zimmer für neu ankommende Gäste vorbereitet werden. Nach dem Verteilen des Mittagessens begleiten wir den Arzt bei seiner Visite und unterstützen ihn bei Untersuchungen. Zudem sind immer auch viele Dinge zu organisieren, Materialien sind zu bestellen, unser kleiner Bauchladen für die Bewohner muss regelmäßig bestückt werden… Nicht zu unterschätzen ist auch der zeitliche Aufwand für die Reinigung unserer Visiere und Schutzbrillen sowie des kompletten Arbeitsbereiches.

Jessica Koch: Ähnlich läuft es auch bei uns ab. Wenn wir Frühstück, Mittag- und Abendessen verteilen, haben die Bewohner die Möglichkeit, ihre Fragen an uns zu richten und uns ihre Anliegen mitzuteilen. Parallel nutzen wir den Kontakt, um Krankheitssymptome abzufragen und zu klären, ob unsere Gäste irgendwelche Hilfe benötigen.

Was sind besondere Herausforderungen bei diesem Einsatz?

Jessica Koch: Viele unserer Gäste haben aufgrund der Sprachbarrieren oder ihrer Vorgeschichte Angst, was in der Unterkunft mit ihnen passiert. Hinzu kommen Sorgen um ihren Arbeitsplatz sowie um die Versorgung und Betreuung ihrer Kinder. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt eine Sozialarbeiterin in der Unterkunft haben, damit die Bewohner und Familien mehr Ansprache haben in ihren Nöten und Sorgen.

Jenny Kurz: Spannend und gleichzeitig herausfordernd sind die vielen verschiedenen Kulturen und Sprachen, die uns hier begegnen. Viele Bewohner verstehen auch nicht wirklich, warum sie hier sind. Oft ist es auch schwierig, bei bestimmten Erkrankungen einen Facharzt zu bekommen. 

Welche Erfahrungen haben Sie besonders beeindruckt?

Jessica Koch: Die meisten Bewohner sind unendlich dankbar für das, was wir tun. Ich erinnere mich an eine Frau, die aufgrund eines Missverständnisses in einer anderen Unterkunft als ihre Familie untergebracht war. Sie stand weinend vor mir und es war unklar, was sie so traurig machte. Aufgrund der Sprachbarriere haben wir erst nach drei Tagen und mehreren Telefonaten herausgefunden, dass die Trennung von der Familie sie so traurig machte. Da jedoch nur sie positiv war, musste sie die Quarantäne getrennt von ihrer Familie verbringen. Sie war einfach nur dankbar, als wir ihr per Video zeigen konnten, dass es ihrer Familie in unserer anderen Unterkunft gut ging. Nach der Entlassung kam sie mit einem Blumenstrauß zurück, um sich zu bedanken.
Oder ein Familienvater hat sich, nachdem er mit seiner Familie bei uns aus der Quarantäne entlassen worden war, regelmäßig um seine ehemaligen Zimmernachbarn gekümmert, die nicht so gut deutsch konnten. Er hat mit ihnen täglich telefoniert, ihnen alle Abläufe erklärt und für uns übersetzt.

Jenny Kurz: Ja, viele Bewohner sind sehr dankbar. Manche bedanken sich nach ihrer Entlassung auch mit kurzen Briefen bei uns für die gute Betreuung.

Wofür sind Sie dankbar?

Jenny Kurz: Von Anfang an arbeiten hier in Althütte Malteser aus drei Dienststellen – Aalen, Ellwangen und Schwäbisch Gmünd – zusammen, die sich vorher gar nicht kannten. Wir alle sind zu einem wunderbaren Team zusammengewachsen. Ich bin meinen Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar für alles, was wir hier für unsere Gäste tun können.

Jessica Koch: Mit unserem Dienst in den Schutzunterkünften füllen wir unseren Malteser Auftrag „… weil Nähe zählt“ mit Leben. Denn wir sind dort sehr nah an den Menschen mit all ihren Nöten und Ängsten. Ich bin daher dankbar für alles, was wir in der aktuellen Situation auch an menschlicher Nähe einbringen können, um den uns anvertrauten Menschen durch diese schwere Zeit zu helfen.